WILD: Herr Steinmeier, die frühe SPD verfochte das Ziel des evolutionären Sozialismus. Dafür nahm sie Verfolgungen durch Bismarck und die Nazis in Kauf. Sie hingegen haben zusammen mit Gerhard Schröder und Franz Müntefering den Sozialstaat kahlgeschlagen. Die wohl größte Errungenschaft der Arbeiterbewegung.
Steinmeier: Ich sehe, dass Sie sich nichts vormachen lassen. Also muss ich wohl Tacheles reden?
WILD: Wir bitten drum. Wieso ändert die SPD ihre aktuelle Politik nicht?
Steinmeier: Nun, mit dem Ende des Ostblocks verschwand auch die Idee, man könne den Sozialismus durchsetzen. In der Folge setzte sich in der Politik die Überzeugung durch, man müsse nur noch eigennützig sein und auf Posten schielen.
WILD: Und was hat das mit der SPD-Politik zu tun?
Steinmeier: Nun, die sozialdemokratische Parteiführung besteht seit Schröder aus lauter Karriereristen. Die wollen in den Vorstand gewählt werden. Die Genossinnen und Genossen wählen aber nur diejenigen an die Spitze, die dafür sorgen können, dass auch sie mit Posten in den Parlamenten und Ministerien versorgt werden. Posten erhält man aber nur durch Wahlerfolge, die wiederum von guten Wahlkämpfen abhängig sind. Diese Wahlkämpfe kosten aber. Und woher kriegt man das Geld? Durch Wahlkampfspenden. Und die größten dieser Spenden kommen aus der Wirtschaft.
WILD: Herr Steinmeier . . .
Steinmeier: Die Unternehmen knüpfen ihre Hilfen aber an Bedingungen, die erfüllt werden müssen. Dazu winken Sie mit Apanagen für den Fall, dass die eigene politische Karriere endet. Und das kann in der heutigen Mediendemokratie, wo ständig eine neue Sau durchs Dorf gejagt wird, schneller passieren als man denkt. Die Firmen halten also Zuckerbrot und Peitsche bereit.
WILD: Und was ist mit den Idealisten?
Steinmeier: Die werden von den Karrieristen bei Seite gedrängt. So wie der Lafontaine vom Schröder.
WILD: Aber das Wahlvolk ist doch unzufrieden mit diesem System!
Steinmeier: Ja, gewiss. Und doch murrt es nur, ohne alternative Parteien zu wählen. Damit bleibt alles beim Alten. Wenn dann doch mal Verüänderung droht, holen wir etablierte Politiker halt einfach die Nazi- und Putinkeule raus. Damit ändert sich dann garantiert nichts! Harr, harr, harr.
WILD: Und die Karrieristen können weiter mache wie eh und je . . .
Steinmeier: Genau.
WILD: Herr Steinmeier, wir danken Ihnen für dieses Interview.