WILD: Sehr geehrter Herr Lindnder, vielen Dank, dass Sie sich unseren Fragen stellen.
Lindner: Keine Ursache. In einer freiheitlichen Gesellschaft müssen sich Politiker nun mal den Fragen der Presse stellen.
WILD: Sehr richtig. Herr Lindner, Sie stehen einer Partei vor, die von vielen Beobachtern und Analysten als neoliberal gebrandmarkt wird. Teilen Sie diese Einschätzung?
Lindner: Na, ich finde die Wortwahl nicht ganz passend. Sehen Sie, wir von der FDP setzen uns für die entfesselten Märkte ein. Das hat aber nicht nur eine wirtschaftliche Funktion, sondern auch eine gesellschaftliche. Die ist dann aber neokonservativ.
WILD: Neokonservativ?
Lindner: Ja. Der alte Konservatismus war ja eine Angelegenheit des Adels, der seine Privilegien und Macht nicht verlieren wollte. Mit Ende des Zweiten Weltkriegs aber wurde der Adel, der bis dahin noch in Wirtschaft und vor allem im Militär stark war, zugunsten der breiten Masse entmachtet.
WILD: Und was hat das mit der FDP zu tun?
Lindner: Na, seit den 1970er Jahren, genauer gesagt seit der Ölkrise von 1973, schlägt das Pendel wieder zur anderen Seite aus. Neoliberale Wirtschaftstheoretiker setzten die Ökonomierung aller Lebensbereiche durch.
WILD: Und?
Lindner: Dieser Kapitalismus in Reinform begünstigt die, die ohnehin schon genug haben. Diese verdienen noch mehr Geld und akkumulieren dadurch hinter den Kulissen noch mehr Macht.
WILD: Und das führt dann zu einer streng hierarchischen Gesellschaft?
Lindner: Genau. Zur Entstehung eines Geldadels halt. Dieser gibt dann wirtschaftlich und auch politisch den Ton an.
WILD: Und wieso treten Sie für eine solche Politik ein?
Lindner: Weil auch ich gerne in Saus und Braus lebe. Und das kann ich nur verwirklichen, wenn ich jede Menge Kapital zusammenraffe. Das geht halt vor allem im neoloberalen Kapitalismus.
WILD: Und all die, die auf der Strecke bleiben? Haben Sie kein Herz für die Schwachen?
Lindner: Ich habe mir jedes Mitleid entwöhnt. Daher führe ich ja auch keine Politik gegen die Armut, sondern gegen die Armen.
WILD: Und Sie haben keine Angst, dass das Volk aufsteht?
Lindner: Gäbe es die Arbeiterbewegung noch, dann hätte ich sie. Aber so . . . die Angestellten und Freiberufler, die am Hungertuch nagen, sind doch gar nicht organisiert. Von wo sollte mir das Gefahr drohen?
WILD: Herr Lindner, wir danken Ihnen für dieses ausgesprochen informative Gespräch.